Entschließung: "Öffentlichkeitsfahndung mit Hilfe sozialer Netzwerke – Strenge Regeln erforderlich!"
Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 27. und 28. März 2014 in Hamburg
Mit zunehmender Beliebtheit sozialer Netzwerke bei Bürgerinnen und Bürgern steigt das Interesse von Strafverfolgungsbehörden, diese sozialen Netzwerke auch zur Öffentlichkeitsfahndung zu nutzen. So gibt es in Deutschland bereits Polizeidienststellen, die mittels Facebook nach Straftätern suchen. Auch die 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat sich im November 2013 mit dem Thema befasst.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hält es erneut für notwendig darauf hinzuweisen, dass eine Nutzung sozialer Netzwerke privater Betreiber (wie zum Beispiel Facebook) zur Öffentlichkeitsfahndung aus datenschutzrechtlicher Sicht sehr problematisch ist. Durch die weltweit recherchierbare Veröffentlichung von Fahndungsdaten wird in weitaus schwerwiegenderer Weise in die Grundrechte Betroffener (Tatverdächtiger oder auch Zeugen) eingegriffen, als dies bei der Nutzung klassischer Medien der Fall ist. Auch sind im Internet veröffentlichte Daten einer Fahndungsausschreibung nur sehr schwer beziehungsweise gar nicht mehr zu löschen. Geben Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netzwerke in Diskussionsforen und Nutzerkommentaren öffentlich Spekulationen, Behauptungen und Diskriminierungen ab, beeinträchtigt dies die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen erheblich. Solche Funktionen sind in von den Ermittlungsbehörden betriebenen Angeboten weder geeignet noch erforderlich, um die behördlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Konferenz weist darauf hin, dass Öffentlichkeitsfahndung nur auf Diensten von Anbietern erfolgen darf, die die datenschutzrechtlichen Vorgaben des TMG zur Nutzungsdatenverarbeitung, insbesondere der Regeln zur Reichweitenmessung gemäß §§ 13 Absatz 4 Nummer 6, 15 Absatz 3 TMG, und das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung gemäß § 13 Absatz 6 TMG beachten.
Sofern es Strafverfolgungsbehörden gleichwohl gestattet werden soll, zu Zwecken der Öffentlichkeitsfahndung auf soziale Netzwerke mit deaktivierter Kommentierungsfunktion zurückzugreifen, so darf dies - ungeachtet der generellen Kritik an der Nutzung sozialer Netzwerke durch öffentliche Stellen - nur geschehen, wenn folgende Maßgaben beachtet werden:
- Die Vorschriften der Strafprozessordnung (§ 131 Absatz 3, § 131 a Absatz 3, § 131 b StPO) zur Öffentlichkeitsfahndung kommen aufgrund der technikoffenen Formulierung als Rechtsgrundlage für die Öffentlichkeitsfahndung im Internet grundsätzlich in Betracht. Sie sind aber im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur eingeschränkt anzuwenden. Eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre wünschenswert. Zumindest aber sind die besonderen Voraussetzungen der Fahndung im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken in Umsetzungsvorschriften zu konkretisieren. Änderungsbedarf besteht beispielsweise für die Anlage B der Richtlinien für das Strafgeldverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV).
- In materiell-rechtlicher Hinsicht haben die Strafverfolgungsbehörden den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten. Die zu schaffenden Regelungen müssen den besonderen Gefahren der Öffentlichkeitsfahndung in sozialen Netzwerken gerecht werden. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass eine solche Fahndung nur bei im Einzelfall schwerwiegenden Straftaten überhaupt in Betracht gezogen werden kann.
- In verfahrensrechtlicher Hinsicht müssen die Umsetzungsregelungen die Staatsanwaltschaft verpflichten, bereits im Antrag auf richterliche Anordnung der Maßnahme die Art, den Umfang und die Dauer der Öffentlichkeitsfahndung konkret anzugeben. Dies umfasst insbesondere die ausdrückliche Angabe, ob und warum die Anordnung auch die Öffentlichkeitsfahndung in sozialen Netzwerken umfassen soll.
- Es ist sicherzustellen, dass
- die zur Öffentlichkeitsfahndung verwendeten personenbezogenen Daten von den Strafverfolgungsbehörden ausschließlich auf im eigenen Verantwortungsbereich stehenden Servern gespeichert und verarbeitet werden, nicht hingegen auf Servern der privaten Anbieter,
- die Weitergabe und der automatisierte Abruf der personenbezogenen Daten aus dem Internet durch Web-Crawler und ähnliche Dienste so weit als technisch möglich verhindert werden,
- die Kommunikation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Nutzern nur außerhalb der sozialen Netzwerke erfolgt.